Eine Drohkulisse für Cannabis-verordnende Ärzte in Deutschland ist ein drohender Regress seitens der Krankenkasse.
Es sind zwar noch keine Fälle eines solchen Regresses bekannt geworden, aber diese Hürde macht es Ärzten nicht gerade leichter, sich der neuen Cannabis Medizin zu nähern.
Ganz anders im Süden Deutschlands. Im Ländle.
Aus einem Schreiben der KV Baden-Württemberg vom Mai 2019:
„Wir haben in Baden-Württemberg allerdings mit den Krankenkassen im Ländle vereinbaren können, dass die Cannabis-verordnenden Ärzte für ihre Cannabisblüten-Verordnungen kein finanzielles Risiko eingehen, indem diese nicht in deren „Arzneimittelbudget“ einfließen bzw. budgetneutral sind. … Unabhängig davon, ob das BTM-Rezept für einen Privat- oder Kassenpatienten ausgestellt wird.“
Unsere südlichen Nachbarn beweisen eine große Offenheit gegenüber neuen Lösungsansätzen in der Medizin. Weiterhin stärken Sie die Verordnungshoheit und Kompetenz ihrer Ärzte.
Im Frühling 2019 bemerkte ich eines Tages einen rapiden Leistungsabfall beim Joggen. Zur Sicherheit fand ich mich Mitte Mai zum Check meiner Lungenfunktion und für ein EKG bei meiner Hausärztin ein. Zusätzlich wurde ein kleiner Bluttest durchgeführt. Meine Ärztin teilte mir anschließend mit belegter Stimme mit, dass meine roten Blutkörperchen, welche auch den Sauerstoff transportieren, katastrophal niedrig sind und ich sofort in die nächste Klinik fahren solle.
Die nächsten Stunden erlebte ich wie in Trance. Ich kannte Krankenhäuser eigentlich nur als Besucher und hatte keine nennenswerte Krankenakte. Bis jetzt. Im Krankenhaus bekam ich Bluttransfusionen und es wurden Proben aus meinem Rückenmark entnommen.
Am dritten Tag nach dem Zufalls-Befund bekam ich bereits meine erste Chemotherapie Infusion.
Mein Onkologe hat das „schöne“ Bild geprägt, dass in meine „Blutproduktions-Fabrik“ Terroristen eingefallen wären und diese müsste man jetzt mit Handgranaten und Artillerie vertreiben. Eine Chemotherapie ist da wohl eine Panzergranate, welche alle Zellen (gute wie schlechte) konsequent platt macht. Unter anderem die Magenschleimhaut, da hier schnellteilende Zellen „leben“. Das wiederum führt zu heftiger Übelkeit und Erbrechen. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Appetitlosigkeit, Schlafprobleme usw.
Zur Behandlung der beschriebenen Nach- und Nebenwirkungen wird standardmäßig ein pharmazeutischer Tabletten-Cocktail verschrieben. Bei mir waren es Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen, Schlaftabletten und diverse andere Tabletten. Insgesamt hatte ich eine morgendliche Ration von acht (!) Tabletten zu schlucken. Ich nahm die verschriebenen Tabletten und trieb den Teufel mit dem Beelzebub aus. Ich hatte zwar weniger Übelkeit, aber dafür heftige Verstopfung. Durch die Schlaftabletten wurde ich unruhig und mein Schlaf-Rhythmus war komplett dahin. Die lebensverändernde Diagnose hatte mir den Appetit gehörig verdorben, so dass ich täglich abnahm.
Alternative medizinisches Cannabis
In meiner Studienzeit und bei diversen Gelegenheiten bin ich bereits mit „Weed“ in Berührung gekommen. Bisher nur aus „hedonistischen Gründen“, aber ich wusste von Freunden und durch Recherchen auch um die heilsame, medizinische Wirkung bei verschiedenen Krankheiten.
Ich werde den Moment nie vergessen, als ich total fertig nach einer heftigen Chemotherapie Session einen Zug Cannabis inhalierte. Die Besserung war fast augenblicklich zu spüren. Symptome wie z.B. Rückenschmerzen aufgrund von Spritzen ins Knochenmark, Übelkeit, Magenschmerzen oder Appetitlosigkeit reduzierten sich schlagartig. Schlafprobleme, Tinnitus und Nachtschweiß verschwanden innerhalb von kürzester Zeit. Ganz ohne Nebenwirkungen! Ganz abgesehen von der gesteigerten Lebensqualität und der Besserung meines körperlichen und psychischen Gesamtzustandes.
Diese Erfahrung veränderte mein Leben.
Kostenübernahme (KÜ) Antrag bei Krankenkasse
Nachdem ich die erste Bedingung “schwere Krankheit” für medizinisches Cannabis erfüllt hatte und anhand meiner Schilderung der positiven Selbstmedikationserfahrung stieß ich bei meinem neuen (deutlich aufgeschlossenerem) Allgemeinarzt zum großen Glück auf offene Ohren. Zwei Monate nach meiner Diagnose schickte er den Antrag auf Kostenübernahme an meine gesetzliche Krankenkasse. Er hatte schon einige Anträge mit wechselndem Erfolg an diverse Krankenkassen eingereicht. Zwei Ärzte (ich konnte meinen Onkologen aufgrund meiner positiven Erfahrungen doch noch überzeugen) haben jeweils eine eindeutige Empfehlung für medizinisches Cannabis ausgestellt und auch meine Medikamentenliste mit den aufgetretenen Nebenwirkungen lag dem Antrag bei.
MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen)
Zwei Tage nach Einreichung des Antrags auf Kostenübernahme bekam ich die Nachricht, dass mein Antrag an den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) weitergeleitet worden sei. Ich fand heraus, dass der MDK chronisch unterbesetzt ist. Mitten in der Sommer- und Urlaubszeit. Also rechnete ich damit, dass die Maximalfrist von fünf Wochen ausgereizt wird. Was aber kein Problem darstellte, da im Gesetz (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V) festgelegt ist, dass auch bei keiner Rückmeldung innerhalb dieser Frist der Antrag automatisch als bewilligt gilt. Die sogenannte „Genehmigungsfiktion“.
Überbrückung bis KÜ – Privatrezepte – Selbstzahler
Ein Arzt hat unabhängig vom Ausgang der Kostenübernahme immer die Möglichkeit ein Privatrezept auszustellen – in dem Fall muss der Patient die Kosten aber komplett selbst tragen und sie werden selbst bei einem positiven Bescheid nicht mehr nachträglich erstattet (abhängig von der Krankenkasse). Das kann schnell teuer werden. Eine Beispielrechnung: Das Gramm medizinisches Cannabis kostet in meiner Apotheke durchschnittlich 15 EUR. Bei einer täglichen Dosis von einem guten Gramm sprechen wir von monatlichen Kosten von knapp 500 EUR.
Ablehnung I – Krankenkasse
Zwei Tage vor Ablauf der Maximalfrist hielt die Ablehnung durch meine gesetzliche Krankenkasse in der Hand. Begründung: Da noch kein MDK-Gutachten eingetroffen wäre, würde meine Krankenkasse den Antrag vorsorglich ablehnen. Sie begründeten ihre Absage also mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit (kein Gutachten ausstellen zu können). Ich habe sofort Widerspruch eingelegt.
Ablehnung II – MDK
Eine Woche später (aber nach Ablauf der gesetzlichen Maximalfrist) kam auch die Ablehnung durch den MDK per Post. Im sogenannten „sozialmedizinischen“ Kurzgutachten wurden folgende „alternative Therapieoptionen“ genannt:
Appetitmangel: Wunschkost, kleine energiereiche Mahlzeiten, Anreicherung der Nahrung von hochkalorischen Komponenten, etc
Schlafstörungen: Maßnahmen der Schlafhygiene, Therapie möglicher psychischer Belastungssituationen, etc.
Fazit: Obwohl bei mir eine schwerwiegende Erkrankung diagnostiziert wurde, sei die Grundvoraussetzung für eine Cannabis-Behandlung nicht gegeben.
Mein aktueller Status
Nach einem langem Kampf habe ich neun! Monate nach meinem Antrag die Kostenübernahme von MDK und Krankenkasse bewilligt bekommen. So konnte ich während der letzten vier Monate der Chemotherapie nach und nach alle anderen Medikamente absetzen. Die lebenslangen Folgen dieser lebensrettenden Chemotherapie in Verbindung mit meiner Grunderkrankung mindere ich seitdem täglich mit zerkleinerten Blüten, welche ich pur vaporisiere. Ich nenne es „medizinieren„. Meine „grüne Medizin“ ermöglicht mir als Projektleiter in einer stressigen Branche Vollzeit weiterzuarbeiten und nicht wie viele meiner Leidensgenoss*innen in Frührente gehen zu müssen.
I have a dream
Ich habe meinem Arzt von meinem Traum erzählt. Ein neu diagnostizierter Krebspatient bekommt zur ersten Chemo sofort für die Nebenwirkung ein Cannabis-Care-Paket angeboten. Fester Bestandteil wäre ein kleiner Vaporizer mit entsprechender Bedienungsanleitung und Dosierungsempfehlung, sowie weiteren Informationen zu den medizinisch verfügbaren Cannabis-Sorten. Diese Medikation könnte dann die ganze Zeit (während der andauernden, monatelangen Behandlung) problemlos weiterbezogen werden. Ohne obligatorischen Antrag bei der Krankenkasse. Ohne Probleme und bürokratische Hürden. Ein schwerkranker Patient hat schließlich genug andere Sorgen.